Hyperbare Sauerstofftherapie bei Knochennekrose
Die hyperbare Sauerstofftherapie (HBO-Therapie, Druckkammertherapie) ist eine Behandlungsmethode, bei der unter einem erhöhten (hyperbaren) Umgebungsdruck medizinisch reiner Sauerstoff eingeatmet wird.
Die hyperbare Sauerstofftherapie dient dazu, die Sauerstoffaufnahme ins Blut über die Normalwerte hinaus zu steigern. So will man eine bessere Sauerstoffversorgung auch schlecht durchbluteten Gewebes erzielen. Die hyperbare Sauerstofftherapie kann in Ein- oder Mehr-Personen-Druckkammern durchgeführt werden.
Bei der hyperbaren Sauerstofftherapie wird der Aussendruck mithilfe einer Druckkammer auf das 1,5- bis 3-Fache des Normaldrucks erhöht. Dadurch wird physikalisch mehr Sauerstoff in den flüssigen Bestandteilen des Blutes gelöst. Die Menge verhält sich dabei proportional zum Umgebungsdruck und dem Sauerstoffanteil im Atemgas.
Durch den erhöhten Sauerstoffgehalt im Blut soll der Stoffwechsel in schlecht durchbluteten Geweben beschleunigt werden. Damit will man etwa Heilungsprozesse antreiben.
Es gibt viele weitere Veröffentlichungen über den Einsatz der hyperbaren Sauerstofftherapie im sogenannten „Off Label Use“.
Hyperbare Sauerstofftherapie in der Druckkammer
Wann macht man eine hyperbare Sauerstofftherapie?
Die hyperbare Sauerstofftherapie wird etwa eingesetzt bei:
- diabetischem Fusssyndrom
- Kohlenmonoxidvergiftung
- Taucherkrankheit (Caisson-Krankheit)
- Knochenmarkentzündung (Osteomyelitis)
- Absterben von Knochengewebe (Osteonekrose)
- Verbrennungen
- Hörsturz (mit und ohne Tinnitus), Tinnitus
- Spatfolgen einer Strahlentherapie (wie nicht heilende Wunden oder Knochendefekte)
Nutzen teilweise umstritten
Die Wirksamkeit der hyperbaren Sauerstofftherapie ist teilweise umstritten.
Einen Nutzen der hyperbaren Sauerstofftherapie bei Brandwunden sowie bei Absterben von Knochengewebe am Hüftkopf (Hüftkopfnekrose) konnte das IQWIG nicht belegen (Stand 2007).
Zur Behandlung von chronischem Tinnitus wird die hyperbare Sauerstofftherapie in der aktuellen Leitlinie nicht empfohlen.
Medikamenteninduzierte Nekrosen des Kieferknochens
Medikamenteninduzierte Nekrosen des Kieferknochens (MRONJ) sind selten, können aber potenziell schwerwiegend verlaufen. Kiefernekrosen treten bevorzugt als bekannte Nebenwirkung von antiresorptiven und antiangiogenetischen Medikamenten auf. Zudem sind Co-Faktoren in der Entstehung von Knochennekrosen bekannt.
Die Prävention sowie die frühzeitige Erkennung der Erkrankung sind für den Erhalt einer hohen Lebensqualität entscheidend. Der Trend geht in Richtung frühzeitiger, minimalinvasiver chirurgischer Intervention. In seltenen, ausgedehnten Fällen kommen mikrovaskuläre Rekonstruktionstechniken zum Einsatz.
Knochennekrosen können verschiedene Ursachen haben. Nebst der medikamenteninduzierten Kiefernekrose können auch bestrahlungsbedingte oder selten auch ischämische Nekrosen des Kiefers vorkommen.
Definition der MRONJ
Die medikamenteninduzierte Osteonekrose des Kiefers wird durch das Vorliegen folgender Punkte definiert:
- Antiresorptiva in der Anamnese, allein oder in Kombination mit immunmodulierender oder antiangiogenetischer Medikation.
- Freiliegender oder über eine Fistel sondierbarer Knochen, während > 8 Wochen.
- Ausschluss einer stattgehabten Bestrahlung im Kopf-Hals Bereich, Ausschluss von Metastasen des Kieferknochens.
Da anfänglich ausschliesslich Bisphosphonate als Auslöser einer Osteonekrose des Kiefers bekannt waren, wurde der Begriff der bisphosphonate-related osteonecrosis of the jaw (BRONJ) eingeführt. Im weiteren Verlauf kam das ebenfalls osteoprotektiv, respektive antiresorptiv wirkende Denosumab hinzu, weshalb die Bezeichnung korrigiert wurde. Der Terminus wurde auf antiresorptive-drug-related osteonecrosis of the jaw (ARONJ) abgewandelt. Nach Einschluss weiterer Medikamentengruppen als mögliche Risikofaktoren, wurde der Begriff medication-related osteonecrosis of the jaw (MRONJ) festgelegt.
Pathogenese und Risikofaktoren
Antiresorptive Medikamente wie Bisphosphonate, Denosumab und die neue Generation monoklonaler Antikörper, beispielsweise Romosozumab, sind in der Behandlung von primär ossären und ossär metastasierten Tumorerkrankungen sowie zur Behandlung einer manifesten Osteoporose indiziert. Durch die Applikation bei Patienten mit Osteoporose resultiert eine flächendeckende Verabreichung in der Bevölkerung.
Bevacizumab und Sunitinib werden zur Inhibition der Angiogenese verabreicht und finden ihren Einsatz bei verschiedenen Tumorleiden. Auch diese Medikamentengruppe kann eine MRONJ induzieren.
Pathogenetische Erklärungsversuche fokussieren sich auf die Inhibition des Knochenumbaus sowie auf die Hemmung der Angiogenese. Durch Ihren antiresorptiven Effekt wird bei Osteoporose die Knochendichte verbessert und das Frakturrisiko vermindert. Bei ossär metastasierten Tumoren wird das Risiko einer Tumor-Hyperkalzämie vermindert, Knochenschmerzen können reduziert und konsekutiv die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten verbessert werden.
Insbesondere dann, wenn diese Effekte kombiniert auftreten oder mit lokalen und weiteren Risikofaktoren zusammentreffen. Beim Pausieren der antiresorptiven Behandlung mit Denosumab kann es zu einem Rebound-Effekt mit erhöhtem Frakturrisiko kommen, weshalb das Pausieren oder Absetzen im Sinne eines «drug holiday» interdisziplinär besprochen werden muss.
Als Hauptrisikofaktor mit hoher Evidenz für die Entstehung einer MRONJ gelten Antiresorptiva und Angiogenesehemmer. Zudem können selten auch Immunosuppressiva (Kortison), Fusionsproteine (Aflibercept), mTOR-Inhibitoren (Everolimus), Radiopharmazeutika (Radium 223) und selektive Oestrogen Rezeptor Modulatoren (Raloxifen) eine MRONJ induzieren.
Das Risiko an einer MRONJ zu erkranken ist nicht nur abhängig von der Art der Medikation, sondern auch von der applizierten Dauer und der Dosis. Dies ergibt ein deutlich höheres Risiko für die Verabreichung bei Tumorleiden (ca. 5 %) im Vergleich zur Applikation bei Osteoporose (0.02-0.3 %).
In der Regel reicht die Medikation mit den oben genannten Therapeutika nicht aus, um eine MRONJ zu induzieren. Hierfür braucht es zusätzliche, lokale Faktoren wie beispielsweise Zahnextraktionen, welche in über 80 % der Fälle als auslösender Faktor gelten. Entzündliche Herde, wie Pulpitiden, eine Parodontitis, infizierte Zysten oder vorbestehende Knochenentzündungen sind dabei massgebend.
Eine MRONJ tritt häufiger im Unter- als im Oberkiefer auf, dies als Folge der besseren Perfusion des Oberkiefers. Insuffizienter Zahnersatz führt zu Druckstellen und im Extremfall kann sich in diesen Bereichen eine MRONJ entwickeln. Überbeine, sogenannte Tori, können die Entwicklung von Druckstellen mit oder ohne Prothese begünstigen und Co-Faktoren in der Entstehung einer MRONJ darstellen.
Personen mit Immundefizienz, Diabetes mellitus, rheumatoider Arthritis, Malnutrition oder Malignomen haben ein höheres Risiko an einer MRONJ zu erkranken.
Symptome, Befunde und Stadieneinteilung
Die klinischen Symptome reichen von unspezifischen Beschwerden über Schmerzen, Schwellung, Fistelbildung und «Foetor ex ore» bis hin zu Zahnlockerungen, Nervenfunktionsstörungen, Kieferfrakturen oder Abszedierungen.
Radiologische Befunde können sehr diskret sein, von Veränderungen der Knochentrabekulierung über Osteosklerosen, bis hin zur ausgedehnten Knochendestruktion. Typisch dabei ist die Formation von abgestossenen, nekrotischen Knochenbereichen, welche als Sequester bezeichnet werden.
Es werden 5 klinisch radiologische Stadien unterschieden. Die Stadieneinteilung dient als Grundlage für Therapieentscheidungen.
Tab. 1: Klinisch-radiologische Stadieneinteilung der MRONJ (modifiziert nach Ruggiero et al.)
Diagnostik, Therapie und Prävention
Eine detaillierte Medikamentenanamnese ist für die Diagnose entscheidend. Häufig werden diese Medikamente von den Patientinnen und Patienten nicht aufgeführt, da das Applikationsintervall sehr hoch ist. Es gilt explizit danach zu fragen. Nebst der klinischen Untersuchung erfolgt routinemässig eine dreidimensionale radiologische Abklärung. Diese besteht üblicherweise aus einem digitalen Volumentomogramm, da zweidimensionale Bildgebungen nicht aussagekräftig genug und für eine Therapieplanung insuffizient sind.
In jedem Fall muss die bakteriologische Untersuchung, inklusive der Gewinnung einer Gewebeprobe, angestrebt werden. In seltenen Fällen imponiert ein maligner Prozess ähnlich wie eine Nekrose des Kieferknochens. Da die Behandlungen gänzlich unterschiedlich sind, ist deren Unterscheidung essenziell.
Die Behandlung folgt den klinischradiologischen Stadien und besteht üblicherweise aus engmaschiger Patientenbetreuung, Schmerzkontrolle und Infektionsprävention. Die Lebensqualität unserer Patientinnen und Patienten steht dabei im Fokus und eine Ausbreitung muss eingedämmt werden.
Der definitive Entscheid zur chirurgischen Therapie richtet sich einerseits nach dem Stadium der Erkrankung und andererseits nach den Komorbiditäten der Patientinnen und Patienten. Insbesondere dann, wenn der operative Eingriff in Intubationsnarkose durchgeführt werden muss, gilt es die konservativen Behandlungsoptionen, wie lokale Antiseptik, Analgesie und Antibiotikatherapie auszuschöpfen.
Die chirurgische Intervention beinhaltet in jedem Fall die Entfernung des nekrotischen, infizierten Knochens. Scharfe Knochenkanten müssen geglättet und ein dichter Wundverschluss angestrebt werden, bei Bedarf durch lokale Verschiebeplastiken.
In der Regel können die chirurgischen Eingriffe minimalinvasiv durchgeführt werden. Die Eingriffe sollen möglichst schonend und unter antibiotischer Abschirmung erfolgen. In ausgedehnten Fällen mit Beteiligung grosser Kieferknochenabschnitte müssen diese reseziert und bei Bedarf aufwendig mit mikrovaskulären Rekonstruktionsverfahren rehabilitiert werden. Dabei können Transplantate vom Unterschenkel, dem Beckenkamm oder dem Schulterblatt zum Einsatz kommen.
Ein temporäres Absetzen der Medikation während der chirurgischen Behandlungsphase wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Insbesondere beim Absetzen von Denosumab muss das Risiko eines Rebound-Effekts mit erhöhtem Frakturrisiko, typischerweise der Wirbelkörper, in den Entscheidungsprozess einfliessen. Eine Rücksprache mit den verschreibenden Ärztinnen und Ärzten ist dabei zwingend.
Die Prävention einer MRONJ hat höchste Priorität. Dabei spielt die Aufklärung der verschreibenden Ärztinnen und Ärzte sowie der Patientinnen und Patienten eine zentrale Rolle. Ähnlich wie vor Radiotherapie, Herzklappenersatz oder Organtransplantation wird auch vor Einnahme der oben genannten Medikamente dringend eine dentale Herdabklärung mit folglicher Sanierung empfohlen.
Sollten trotz sorgfältiger Herdabklärung Zahnextraktionen während einer laufenden Therapie notwendig sein, werden diese unter antibiotischer Abschirmung, möglichst atraumatisch und mit dichtem Wundverschluss durchgeführt. Auch hier empfiehlt sich die Zuweisung an eine Spezialistin oder einen Spezialisten.
Merkmale der Hüftkopfnekrose
Durch lokale Durchblutungsstörungen kommt es zu einer Knochenzerstörung. Am Anfang hat der Patient Hüftschmerzen, später ist die Beweglichkeit eingeschränkt. Die Diagnose sollte mittels MRI so schnell wie möglich gestellt werden, falls der Patient wissen will ob er für HBOT qualifiziert.
Hüftkopfnekrose - Knochentod in der Hüfte, Prof. Lukas Konstantinidis, Info-Abend, 8. Nov. 2022
Behandlungsziele
Da die Hüftkopfnekrose und das resistente Knochenmarködem oft junge Patienten befallen und möglicherweise zur Knochenzerstörung mit Gelenkersatz führen kann, ist eine Frühdiagnose verbunden mit einer nicht chirurgischen Behandlung äusserst wichtig. HBOT kann den Schmerz lindern oder zum Verschwinden bringen, zusätzlich kann der zerstörte Knochen wiederhergestellt werden und der Gelenkersatz vermieden werden.
Was macht man bei einer hyperbaren Sauerstofftherapie?
Vor einer hyperbaren Sauerstofftherapie werden Sie auf Ihre Drucktauglichkeit hin untersucht, etwa mittels ein EKG und Lungenfunktionsprüfung. Geprüft wird auch die Durchgängigkeit der Ohrtrompete (Tuba auditiva) - der röhrenförmigen Verbindung zwischen Rachen und Mittelohr. Diese ist für den Druckausgleich der Ohren wichtig.
Druckkammer Platz, von der aus Sie jederzeit Kontakt nach aussen mit dem Arzt oder Pflegepersonal aufnehmen können (etwa durch lautes Sprechen). Der Druck in der Kammer wird nun langsam erhöht, sodass der Druckausgleich der Ohren komplikationslos und möglichst angenehm erfolgen kann. Sie selbst können diesen Prozess erleichtern, indem Sie Kaugummi kauen oder bei zugehaltener Nase Luft in den Rachenraum pressen (Valsalva-Manöver).
Sobald der vorgesehene Druck erreicht ist, setzen Sie eine Sauerstoffmaske auf. Über diese atmen Sie nun reinen Sauerstoff ein.
Zum Ende der Therapie wird der Druck über mehrere Minuten hinweg gesenkt, was man auch als Ausschleusen bezeichnet.
Dauer und Anzahl der Behandlungen
Die Dauer einer Sitzung in der Druckkammer beträgt je nach Indikation (Anwendungsgebiet) zwischen 45 Minuten und über sechs Stunden. Mehrstündige Behandlungen sind etwa in der Akuttherapie der Taucherkrankheit nötig.
Wie viele Sitzungen im Einzelfall durchgeführt werden, variiert ebenfalls. Je nach Indikation und Krankheitsverlauf müssen sich manche Patienten nur einmalig in die Druckkammer setzen, andere dagegen mehrmals (bis zu 30-mal und öfter).
Welche Risiken birgt eine hyperbare Sauerstofftherapie?
Der behandelnde Arzt klärt Sie im Vorfeld über mögliche Nebenwirkungen und Risiken der HBO-Therapie auf. Es zählen dazu beispielsweise:
- Barotrauma: Das sind Verletzungen, die durch plötzliche Druckveränderungen in gasgefüllten Körperhöhlen (z.B. im Ohr) bei mangelndem Druckausgleich entstehen.
- Riss des Trommelfells (Trommelfellperforation oder -ruptur)
- Reizung der Atemwege
- vorübergehende Sehstörungen
Manche Menschen reagieren auf das Einatmen von Sauerstoff unter Überdruck auch mit Krampfanfällen (selten).
Was muss ich bei einer hyperbaren Sauerstofftherapie beachten?
Wenn während einer hyperbaren Sauerstofftherapie-Sitzung in der Druckkammer folgende Symptome auftreten, sollten Sie die Atemmaske abnehmen und sich sogleich beim Arzt/Pflegepersonal melden (laut sprechen oder Ruftaste betätigen):
- Kribbeln in Fingerspitzen, Nasenspitze oder Ohrläppchen
- Gesichtszucken
- plötzliches Doppeltsehen
- Brennen in den oberen Atemwegen oder unter dem Brustbein
- Unwohlsein
- Unruhe
Reagieren Sie auch, wenn Sie solche Symptome bei anderen Patienten in der Druckkammer bemerken.
Die Kosten für eine hyperbare Sauerstofftherapie werden in der Regel nur in bestimmten Fällen von der Sozialversicherung übernommen. Informieren Sie sich darüber im Vorfeld bei Ihrer Kasse/Versicherung.
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