Die Rolle des Bindegewebes und das Konzept der "Normal Function" in der Körperhaltung
Die Diskussion über Körperhaltung und Bewegung hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, wobei ein Paradigmenwechsel vom Fokus auf Muskeln hin zum Bindegewebe als tragendes Substrat stattfindet.
"Haltung" ist ein Begriff, der oft missverstanden wird, da eine ökonomische Haltung, die oft als "Normal Function" bezeichnet wird, wenig mit dem "Halten" durch Muskeln zu tun hat. Tatsächlich muss ein Mensch erst dann mit Muskeln halten, wenn er aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Die Integration, also das Finden des Gleichgewichts, ist der erste Schritt, um loslassen zu können. Im Gleichgewicht können wir in unserem Bindegewebe (Faszien, Sehnen, Bänder) "hängen" und von diesem getragen werden. Die Faltbewegung ist ein gutes Beispiel für eine Haltung im Stehen, bei der man im Gleichgewicht alle Muskeln loslassen und im Bindegewebe hängen kann.
Durch diese Art der Haltung erfährt unser Körper eine Ausdehnung in der Längsrichtung und wird nicht gestaucht. Dies hat auch eine philosophische Dimension, die es diesen Ideen erschwert, in der universitären Medizin anerkannt zu werden: Loslassen, Entspannen, Nicht-Machen, Nicht-Kontrahieren und dabei noch ökonomischer werden!
Mediziner werden in der Anatomie oft mit Muskeln überfüttert und lernen ein sehr mechanistisches, muskelzentriertes Bild der Bewegung. Dabei wird dem Bindegewebe und der Schwer- und Normalkraft im Zusammenhang mit Haltung wenig bis keine Beachtung geschenkt. Es ist ein Paradigmenwechsel erforderlich.
Die Philosophie des "Nein" und die Ebenen der Erkenntnis
Wissenschaftliche Erkenntnis verläuft nicht immer stetig. Manchmal kommt es zu Brüchen. Gaston Bachelard unterscheidet und beschreibt fünf Ebenen oder "Erkenntnisweisen", die durch solche Brüche geschieden sind. Ida Rolf behauptet, Rolfing sei auf einer höheren Ebene angesiedelt als die Anatomie. Das bedeutet, dass es keinen direkten Weg von der Anatomie zum Rolfing gibt, von der Anatomie des Körpers zur Struktur des Körpers.
Anatomie gehört auf Bachelards zweite Ebene, die er die Ebene des Realismus oder Empirismus nennt. Der Begriff der "Haltung" gehört jedoch eindeutig auf die erste Ebene, diejenige des "naiven Realismus". "Haltung" ist also ein sinnloser Fremdkörper im Gebiet der Anatomie und auch der Medizin, jedenfalls soweit sie sich mit dem sogenannten "Bewegungsapparat" beschäftigt.
Der Mensch muss sich immer halten, wenn er nicht gerade liegt. Das Muster und der Betrag der notwendigen aktiven Spannung hängen vom Arrangement des Körpers im Raum und seiner Struktur ab. Beim menschlichen Körper handelt es sich immer um labile Gleichgewichte, da gibt es keinen Bereich, bei dem nicht gehalten werden müsste.
Es ist wichtig zu verstehen, dass wir mit guter Struktur im normalen Stehen weitgehend von unten nach oben gestützt sind. Wenn wir "lang" stehen, hilft die passive Spannung des Fasziennetzes, das System nahe am Gleichgewichtspunkt subtil um diesen Punkt kreisen zu lassen. Wirklich ins Spiel kommen die Faszien aber erst bei Bewegung, beim Falten, beim Gehen und Laufen.
Die Grenzen der Medizin und die Bedeutung alternativer Möglichkeiten
Die Medizin wird oft kritisiert, und in vielem zu Recht. Es ist jedoch wichtig, sich der Grenzen bewusst zu sein. Eine Grenze ist, dass der Patient juristisch frei ist, eine Therapie zu wählen oder auch keine. Wir brauchen sorgfältige und zuverlässige Diagnosen, um zu offerieren, was die Medizin an Therapie zu bieten hat, und darauf hinzuweisen, dass es sehr viele alternative Möglichkeiten gibt.
Die Schwierigkeit der Vereinfachung und das Paradox des Verstehens
Das Einfache ist oft schwierig, das Komplexe einfach. Vereinfachen kann bedeuten, Komplexität zu reduzieren oder anschaulich zu machen. Das ist ein Widerspruch. Bei "Struktur" abstrahieren wir vom Funktionellen, es wird weniger komplex, aber abstrakter, also "schwierig". Die Theorie der "Normal Function" (NF) ist hingegen ziemlich abgeschlossen und fast lachhaft einfach.
Unsere Alltagsvorstellungen, auf denen auch der gesunde Menschenverstand beruht, sind eigentlich alle grundfalsch. Trotzdem funktionieren sie hervorragend - meistens. Wenn man auf etwas trifft, das man nicht versteht, gibt es zwei entgegengesetzte Einstellungen dazu. Entweder man sucht nach Ähnlichkeiten mit dem Bekannten und ordnet das Unbekannte mit ein bisschen Würgen ein, oder man sucht nach Unterschieden auf die Gefahr hin, dass sich das Ich verändert.
Die einfache Erklärung funktioniert nicht, weil sie das schon lange überholte Kommunikationsmodell vom Sender und Empfänger voraussetzt. Und wir überschätzen das Informationsbedürfnis der Leute gewaltig.
"Kompliziert", "zu genau", unverständlich: ja, es geht nicht anders. Es herrscht ein verbreitetes Missverständnis vor von dem, was Theorie sein soll. Sie soll sich nicht eins-zu-eins mit der Realität decken, sondern sie soll einen Kontrast herstellen zwischen dem Absoluten und dem unverständlichen, chaotischen, unberechenbaren Realen. Theorie verhält sich zur Realität wie die Karte zum Territorium.
Ida Rolf meinte "normal" wie in "normal structure" sicher als "ideal", nicht als durchschnittlich oder natürlich. Sie hatte sicher "die Normale" im Sinn, ein altes Wort für die Senkrechte, den rechten Winkel. Der Begriff ist also so besetzt. Was besonders gefällt, ist, dass es eine willkürlich gesetzte Norm ist, die man akzeptieren kann oder nicht. Man hat die freie Wahl, es gibt keinen Grund und keinen Druck.
Spannend geht nicht ohne "schwierig", ein tieferes Verständnis geht nicht ohne Ungewissheit.
FASZIEN TRAINING für mehr Beweglichkeit, strafferes Gewebe und weniger Gelenkschmerzen !
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